(Digitale) Demokratie in Parteien

Anlässlich der Mitgliederbefragung zum SPÖ-Vorsitz ist innerparteiliche Demokratie wieder Thema. Zurecht, denn der zunehmende Vertrauensverlust in das politische System zeigt sich bei Parteien besonders deutlich.

38% meinen, dass keine Partei ihre Anliegen vertritt.
Quelle: Sora/Demokratiemonitor

So stellt der Demokratiemonitor 2022 fest, dass sich die Anzahl der Menschen, die ihre politischen Anliegen von keiner politischen Partei aufgegriffen sehen, in vier Jahren – zwischen 2018 und 2022 – von 13 Prozent auf 38 Prozent fast verdreifacht hat. Parteien sind in der repräsentativen Demokratie zentral und sollten gegensteuern.

Eine stärkere Einbindung der Mitglieder kann Bewegung in Parteiapparate bringen: 9.000 Eintritte konnte die Sozialdemokratie nun im Zuge der ausgerufenen Mitgliederbefragung verzeichnen. Dass eine Öffnung und Demokratisierung der Partei, samt direkter Vorsitzwahl nötig ist, trommeln Jugendorganisationen und Sektion 8 seit langem. International sei eine Direktwahl des Parteivorsitzes bereits etabliert.

Wie können digitale Lösungen innerparteiliche Demokratie unterstützen?

Vorsitzwahl in Kanada

Online-Abstimmungen werden in politischen Parteien unterschiedlich eingesetzt. Am häufigsten, um die Parteiführung zu wählen. In Kanada machen das bereits alle großen politischen Parteien.

Die Grüne Partei Kanadas hat dabei auf die von uns angebotene Software Decidim gesetzt. Ihre Kampagne endete im November 2022 und führte zur Wahl von Elizabeth May und Jonathan Pedneault. Die Wahlkampagne stellt sich selbst als die “fairste, offenste und technologisch fortschrittlichste Kampagne” und als das “effektivste Format zur Wahl einer neuen Parteiführung” dar. Die Online-Plattform Decidim ermöglichte dabei Online-Voting und umfassende Information der Mitglieder. Denn nicht nur die Abstimmung, auch die Kampagnen der Kandidat:innen liefen dort zusammen. Beispielsweise konnten Mitglieder über die Plattform Anträge auf Faktenchecks stellen, d. h. den Wahrheitsgehalt der Aussagen von Kandidat:innen im Rennen um die Führung in Frage stellen. Diese waren verpflichtet, diese Fragen zu beantworten. Ergebnisse wurden in einem wöchentlichen Newsletter veröffentlicht. Mitglieder konnten Kandidat:innen über die Website finanziell unterstützen, wurden über sämtliche Veranstaltungen der Kandidat:innen und den Prozessverlauf informiert. 

Nicht nur bei der Wahl der Parteiführung können Parteien intern demokratischer werden, Mitgliederentscheide kommen häufiger zum Einsatz: bei der Entscheidung über Koalitionsabkommen, der Unterstützung eines Misstrauensvotums oder zur Position der Partei in einer Volksabstimmung.

Agora democratiche

Neben Abstimmungen können digitale Tools auch deliberative Prozesse unterstützen. 

So setzte die Partido Democratico – die Schwesterpartei der Sozialdemokratie in Italien – nach Jahren der Krise – ebenfalls auf Decidim, um mit der “Agora Democratiche” in ganz Italien in Versammlungen über die Zukunft des Landes und der Partei zu diskutieren.

Der Fokus lag dabei nicht ausschließlich auf den Mitgliedern, sondern auf der Öffnung der Partei für alle Bürger:innen. Über die Decidim-Plattform wurde:

  • die Veranstaltungsadministration abgewickelt
  • Vorschläge zu Themenfeldern online  diskutiert und eingebracht.
  • Ergebnisse dokumentiert und transparent für alle zugänglich gemacht.

Der Prozess wurde unter der früheren Parteiführung Enrico Lettas initiiert. Die designierte Parteivorsitzende Elly Schlein befürwortete die Agora Democratiche, da dort Menschen zusammenkamen, um konkrete politische Vorschläge zu diskutieren. 

Die Einführung digitaler Instrumente in politischen Parteien ist anspruchsvoll. Wegen struktureller Veränderungen kann es zu internen Spannungen kommen. Verifizierung der Mitglieder und ihrer aufrechten Wahlberechtigung sind wichtige Aspekte, außerdem spielt Vertrauen in die Online-Abstimmung eine wichtige Rolle. 

Vocdoni x Decidim

Daher freut es uns, dass Decidim in Kooperation mit  Vocdoni ein sichereres Wahlsystem mit noch besseren Privatsphärebedingungen entwickelt hat. Das Blockchain-Voting-System wurde unter anderem bei einem Referendum in Bellpuig, Spanien, angewendet. Es räumt eine Reihe von Sicherheitsbedenken aus, verwendet eine eigene Blockchain namens Vochain, die alle wünschenswerten Eigenschaften  wie Unveränderlichkeit, Transparenz und Überprüfbarkeit aufweist.

Abschließend

Bei der Einbindung von Menschen in Beteiligungsprozesse ist ein gutes transparentes Prozessdesign entscheidend. Verbindlichkeit ist ebenfalls zentral, um geweckte Erwartungen nicht zu enttäuschen. Dass demokratische Prozesse immer zu Ende gedacht werden müssen, und dass es von Beginn an klare Regeln und Transparenz zur Verwertung von Ergebnissen geben muss, damit Parteien gestärkt aus der Einbindung hinausgehen, zeigt die jetzige Unklarheit innerhalb der SP im Umgang mit dem Ergebnis der „Mitgliederbefragung“. Digitale Instrumente können dabei unterstützen, und werden in Zukunft eine wichtige Rolle spielen.